Bosporusbrücke: ein Liebesbrief an den Rakı
Um ehrlich zu sein, habe ich mich nie für Rakı interessiert.
Für mich waren das nur mit Staub bedeckte Flaschen irgendwo im Regal einer jeden Dönerbude.
Natürlich habe ich ihn aus Neugierde mal probiert ...
Einmal. Pur. Ohne Eis. Ohne Wasser.
Im Stil einer Degustation.
So wie ein vermeintlicher Profi eine unbekannte Spirituose trinken würde.
Unnötig zu sagen, dass das Geschmackserlebnis nicht wirklich toll war.
Nur eine einzige dominante Anisnote, mit leicht kratzendem, bleibendem Geschmack am Gaumen.
„Als Basisspirituose für Cocktails nicht besonders geeignet“, urteilte ich damals vorschnell.
Wenn Sie als Barkeeper Anisaroma benötigen, verwenden Sie in der Regel verschiedene Spirituosen. Wenn Sie sich dabei aber wirklich geschickt anstellen wollen, könnten Sie sogar Sternanis verwenden.
Das machte ich weiterhin so und interessierte mich nach wie vor nicht für Rakı.
Eines Tages wurde mein Leben durch eine umwerfende Frau bereichert: Burçin „bOo“ Bektaş.
Fröhlich. Warm. Stolz. Auch dickköpfig.
Aber wirklich türkisch!
Irgendwann sagte sie voller Aufregung zu mir: „Ich vertreibe jetzt Yeni Rakı! Komm in meinen Meisterkurs!“ Oder etwas in der Art. Ich weiß es nicht mehr genau.
Mir war zu dem Zeitpunkt nicht klar, dass ich nach ihrer Einladung meinen Standpunkt ändern würde – nicht nur, was diese Spirituose betraf, sondern auch viele andere Dinge.
Sie erzählte uns nicht allein von der Geschichte, der Produktion, den verschiedenen Qualitäten und der kulturellen Bedeutung von Rakı, sondern auch, wie man ihn trank.
Und natürlich habe ich ihn aus Neugierde noch einmal probiert …
Mehrere Male. Authentisch. Mit Eis. Mit Wasser.
Mit Meze.
So wie ein Profi diese Spirituose trinken würde.
Unnötig zu sagen, dass das Geschmackserlebnis wirklich toll war.
Als ich endlich begann, die Spirituose wirklich zu verstehen, kam mir alles ziemlich vertraut vor:
Rakı. Fröhlich. Warm. Stolz. Auch dickköpfig.
Aber wirklich türkisch.
Moment mal …
Da dämmerte es mir plötzlich.
Diese bezaubernde Frau mit dem strahlenden Lächeln war in der Tat die Verkörperung von Rakı!
Ich hatte keine andere Wahl, als diese umwerfende Spirituose in ein Cocktailrezept zu übersetzen.
Als Grundlage wählte ich Yeni Rakı Ustaların Karışımı, eine in Fässern gereifte Mischung aus drei verschiedenen Rakıs mit mehreren Schichten aus Trauben, Rosinen und Anis.
So kann man sie aus meiner Sicht am besten beschreiben: originell und komplex, aber auch harmonisch und elegant.
Zuerst zähmte ich den Drink mit selbstgemachtem Bourbon-Vanillesirup, um die holzige Fassnote zu betonen – und damit nur das sie schmückt, was ihrer auch wert ist: Gold.
Das ist „wirklich türkisch“.
Der Süße habe ich zum Ausgleich frisch gepressten Zitronensaft entgegengesetzt.
Das macht den Drink frisch und pikant.
Glücklicherweise erinnerte ich mich daran, dass die angesehene deutsche Privatkelterei Van Nahmen einen Saft aus der „Konstantinopeler Apfelquitte“, einer nach Konstantinopel benannten Quittensorte, herstellt.
Etwas Deutsches mit türkischen Wurzeln?
Das passte ganz hervorragend!
Nach dem Schütteln und Abseihen wird das Ganze mit einem Spritzer Ingwerbier gekrönt, um die Lebendigkeit und das Temperament zu betonen.
Und zu guter Letzt noch ein paar Spritzer Pfirsichbitter.
Weil ...
Nun ...
Wenn sie lächelt, sehen ihre Wangen aus wie kleine Pfirsiche, lol!
Aber noch wichtiger: weil es den Geschmack abrundet und alle Zutaten als aromatische Brücke verbindet.
Eine Brücke? Eine Brücke ... eine Brücke!
So wie die Bosporusbrücke Europa und Asien verbindet, so gelang es bOo, mir durch ihre Identität, ihre Leidenschaft und ihr Engagement Zugang zur türkischen Kultur zu ermöglichen.
Deshalb gebe ich als Dekor eine Apfelscheibe, etwas Deutsches, hinzu, gieße Blütenhonig darüber, etwas Deutsches und Türkisches, karamellisiere alles und gebe einen Schuss Sumach, etwas Türkisches, hinzu. Das Ergebnis vereint Geschmackskontraste und Kulturen miteinander und erschafft etwas Neues, das wirklich Sinn ergibt.
Ich möchte, dass dieser Cocktail ein Symbol dafür ist, wie ich ihre Persönlichkeit und ihre Leistungen wahrnehme.
Dies ist mein Liebesbrief an den Rakı ...
Und an sie ...
Şerefe!
PAT BARTEN
Barkeeper aus Hamburg